Somatic Experiencing (SE) ist ein körperorientierter Ansatz zur Verarbeitung von traumatischem Stress. Entwickelt wurde er von dem amerikanischen Traumaforscher Peter A. Levine.
Im Mittelpunkt steht nicht allein das traumatische Ereignis, sondern vor allem die körperliche Reaktion darauf: In bedrohlichen Situationen aktiviert unser System automatische Schutz- oder Überlebens-programme wie Flucht, Kampf oder Erstarrung.
Bleibt bei dieser ersten Reaktion etwas „hängen“, insbesondere bei der Erstarrung (wenn also keine Bewegung oder Entladung stattfindet), kann das Nervensystem dauerhaft in Alarm gehalten sein – und daraus entsteht ein Trauma.
SE arbeitet non-verbal mit dem sogenannten „Körpergedächtnis“: Das heißt, nicht ausschließlich über das Erzählen des Traumas, sondern über Wahrnehmung von Körperempfindungen, achtsames Begleiten und das Unterstützen der natürlichen Regulierung des Nervensystems.
Wiederherstellung der natürlichen Selbstregulation im Nervensystem: Das heißt, der Körper soll wieder lernen, zwischen „Alarm“ und „Ruhe“ zu wechseln.
Transformation der im Körper gebundenen Energie, die durch Schock oder Trauma entstanden ist – damit entstehen weniger Symptome und es kehrt mehr Lebendigkeit und Sicherheit zurück.
SE-Begleitung kann hilfreich sein bei:
akuten oder chronischen Traumareaktionen (z. B. nach Unfällen, Gewalterlebnissen, Vernachlässigung)
frühen Bindungs- oder Entwicklungstraumata
Menschen, die spüren, dass ihr Körper „noch im Alarm“ ist, auch wenn das Ereignis vorbei ist
In der Arbeit mit SE wird sanft und schrittweise vorgegangen. Einige typische Elemente:
Achtsame Wahrnehmung von Körpersignalen: z. B. Wo spüre ich Spannung? Wo ist etwas still oder „gefroren“?
Unterstützung, damit der Körper die im Erstarrungsprozess gebundene Energie allmählich entladen kann – z. B. durch kleine Bewegungen, Visualisierungen oder bewusste Regulation.
Begleitung, um Vertrauen ins eigene Nervensystem zurückzugewinnen: „Mein Körper kann sich regulieren.“
Integration: die Erfahrung, im hier & jetzt sicher zu sein, sowie das Erleben von Verbindung, Ruhe und Selbstwirksamkeit.
Traumen sind nicht nur Erinnerungen oder Gedanken – sie sind auch körperliche Spuren: Der Körper hat reagiert, reguliert – oder eben nicht vollständig. SE setzt genau dort an: bei der körperlichen Dimension. Wenn der Körper „noch Alarm“ schlägt, auch wenn der Kopf schon weiter ist, bleibt eine Restbelastung. SE hilft, diesen Rest-Alarm sichtbar zu machen, spürbar zu regulieren und zu integrieren.
Frühe und komplexe Traumatisierungen wie Entwicklungs- oder Bindungstraumata erfordern meist mehr als nur einen körperorientierten Ansatz. Sinnvoll kann daher eine Kombination sein – etwa mit der Ego-State-Therapie, dem Internal Family Systems Model (IFS) nach Richard Schwartz oder dem NARM-Ansatz nach Laurence Heller.
NARM steht für „Neuro-Affektives Beziehungsmodell“, eine körperbasierte Traumatherapie, die speziell auf die Heilung von Entwicklungs- und Bindungstraumata (komplexen Traumata) abzielt. Der Ansatz verbindet psychodynamische (top-down) und somatische (bottom-up) Methoden, um die Selbstregulation und Beziehungsfähigkeit zu stärken.
Im Zentrum steht die Verbindung zwischen frühen, oft unbewussten Schutzmechanismen und gegenwärtigen Mustern. Ziel ist es, alte, nicht mehr hilfreiche Überlebensstrategien zu erkennen und schrittweise aufzulösen – damit mehr Lebendigkeit, Kontakt und Selbstvertrauen möglich werden.
Somatic Experiencing ist ein zeitgemäßer Ansatz zur Traumaverarbeitung: Er verbindet fundiertes Wissen über das Nervensystem mit achtsamer, körperorientierter Begleitung. Ziel ist nicht nur das Erzählen des Traumas – sondern das „Zur-Ruhe-Bringen“ des Nervensystems und das Zurückfinden in Sicherheit, Verbindung und Lebendigkeit.
Peter A. Levine (*1942) ist ein amerikanischer Psychotherapeut und Traumaforscher, der vor allem durch die Entwicklung von Somatic Experiencing bekannt geworden ist. Er promovierte in Biophysik an der University of California, Berkeley, und später in Psychologie. Über viele Jahrzehnte hinweg beschäftigte er sich mit den Auswirkungen von Trauma auf Körper und Nervensystem – u. a. war er Stress-Berater für die US-Weltraumbehörde NASA.
Levine prägte mit Somatic Experiencing eine körperorientierte Therapieform, die davon ausgeht, dass traumatische Erlebnisse nicht nur mental verarbeitet werden müssen, sondern vor allem durch das Nervensystem „gelöst“ werden: Der Körper – mit seiner natürlichen Regulierungskraft – erhält wieder Raum zur Heilung. Er steht hinter internationalen Aus- und Weiterbildungen für Therapeuten und zählt zahlreiche Bücher und Auszeichnungen in seinem Werk – darunter ein „Lifetime Achievement Award“ für seine bahnbrechende Arbeit im Bereich Körper- und Traumatherapie.