"Das Trauma liegt nicht im Ereignis, sondern im Nervensystem."

Dr. Peter A. Levine

Polyvagal Theorie

Was ist die Polyvagal-Theorie?

Die Polyvagal-Theorie (PVT) wurde von Stephen W. Porges entwickelt und beleuchtet, wie unser autonomes Nervensystem (ANS) menschliches Verhalten, Gefühle und soziale Bindung steuert. Laut dieser Theorie gibt es nicht einfach zwei Zustände (z. B. „Ruhe“ und „Alarm“), sondern drei Haupt-“Schaltkreise“, die unbewusst darüber entscheiden, wie wir auf unsere Umwelt reagieren. 

Die drei Haupt-Schaltkreise und ihre Bedeutungen

Ventraler Vagus („soziale Verbindung“)

Dieser Teil des Nervensystems sorgt dafür, dass wir uns sicher fühlen, in Beziehung gehen und gemeinsam entspannen können.

Wenn er aktiviert ist, sind wir offen für Kontakt, Kooperation und Ruhe.

Sympathikus („Kampf oder Flucht“)

Wenn Gefahr wahrgenommen wird, springt dieser Circuit an: Wir mobilisieren Energie, steigen in Alarmbereitschaft, um zu kämpfen oder zu fliehen.

Kurzfristig überlebenswichtig — langfristig belastend, wenn er dauerhaft aktiviert bleibt.

Dorsaler Vagus („Erstarrung“)

Bei überwältigender Bedrohung oder wenn weder Kampf noch Flucht möglich sind, kann dieser Zustand eintreten.

Der Körper „friert“ ein, Energie wird gebunden, das Gefühl von Verbindung bricht ab — häufig entsteht hier eine Form von Dysregulation.

Warum ist die PVT bedeutsam?

Sie ändert den Blick auf Verhalten: Nicht mehr nur „Was tut die Person?“, sondern „Welcher Nervenschaltkreis ist aktiv?“ und „Fühlt sich das System sicher oder bedroht?“ 

Sie betont Sicherheit und Verbindung als Grundbedingungen für gesundes Menschsein — nicht nur als nette Ergänzung, sondern als zentrale biologische Notwendigkeit. 

Sie bietet praktische Ansätze für Therapie, Pädagogik, Medizin, Führung und sozialen Kontext: Ob Menschen in Krisen, Kinder mit Bindungsproblemen oder Teams in Unternehmen — das Nervensystem und seine Zustände werden verständlicher.

Anwendung der PVT: Was heißt das konkret?

In der Therapie: Das Ziel ist nicht nur, Symptome zu lindern, sondern dem Nervensystem zu helfen, wieder zwischen den Schaltkreisen zu wechseln – vom Alarm oder Erstarrung zurück in Verbindung & Ruhe.

In der Bildung und Erziehung: Ein Kind kann optimal lernen, wenn es sich sicher fühlt – nicht ständig „Alarm macht“. Ein traumasensibles Umfeld achtet auf vagale Regulierung. 

In der Alltags- und Organisationswelt: Führung, Kommunikation und Arbeitskultur profitieren davon, wenn Sicherheit und Verbindung bewusst gefördert werden – denn das Nervensystem reagiert nicht nur auf Zahlen und Ziele, sondern auf Menschen und Beziehungen.