"Das Trauma liegt nicht im Ereignis, sondern im Nervensystem."

Dr. Peter A. Levine

Heinke Sofka: Über mich und meinen Weg zur Stiftungsgründung

Eine paar kurze Informationen über mich: Geboren bin ich im Norden von Deutschland und aufgewachsen im Süden. Nach Beendigung der Schule zog es mich nach Berlin, um für ein paar Semester politische Wissenschaften an der Freien Universität zu studieren. Seit dieser Zeit fühle ich mich Berlin verbunden und bin, unterbrochen von einem dreijährigen Aufenthalt in Weimar, dort geblieben.

Nachdem ich einige Jahre als angestellte Ergotherapeutin gearbeitet habe, bin ich seit 2005 niedergelassene Ergotherapeutin in Berlin. Damit habe ich mir zwei Wünsche erfüllt: zu geben und zu unterstützen sowie selbstbestimmt eigene Vorstellungen zu gestalten und umzusetzen.

Einer meiner Beweggründe für diesen Beruf war der Wunsch, meine unternehmerischen Fähigkeiten beim Aufbau und Führen einer eigenen Praxis einzubringen. Gleichzeitig suchte ich eine Tätigkeit, die den intensiven Austausch mit Menschen ermöglicht und mir durch ihre Vielfalt und Herausforderungen sowohl therapeutisch als auch persönlich lebenslanges Wachstum eröffnet. Rückblickend freue ich mich, dass sich all dies im Laufe der Jahre erfüllt hat. 

Das Jahr 2020 war so ein außergewöhnliches und herausforderndes Jahr in jeder Hinsicht, dass es für mich der richtige Moment war, meinen Wunsch, eine eigene Stiftung zu gründen, nicht mehr hinauszuschieben, sondern tatkräftig in Angriff zu nehmen.

Mit der Gründung der Stiftung schloss sich ein Kreis: Mein politisches und gesellschaftliches Interesse war einer der Motivatoren, das Studium der politischen Wissenschaften aufzunehmen, und es war mein großer Wunsch, Menschen Räume und Begegnungen zur Heilung anzubieten.

Privat lese, male und reise ich sehr gern. Um Abstand zu meinem doch vollen Berufsalltag zu bekommen, mache Yoga und genieße lange Spaziergänge in der Natur.

Warum ich eine Stiftung gründen wollte

Meine Erfahrungen als Ergotherapeutin mit Kindern und vor allem mit Kindern, die ein Entwicklungstrauma aufweisen, haben mich dazu bewogen, eine Stiftung zur Überwindung von Entwicklungstraumata zu gründen. Auch die Begegnung mit der Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen Porges hat dazu beigetragen. Beide Aspekte haben zu einer fachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Trauma geführt.

Kinder, die mit einem Entwicklungstrauma zur Ergotherapie überwiesen werden, kommen natürlich mit anderen Zielen als der Bewältigung ihres Traumas in meine Praxis. Sie kommen oft mit einem sehr erhöhten Erregungslevel/Hypervigilanz (einem hohen Zustand des sympathischen Systems) in die Therapie sowie mit einer sehr eingeschränkten Fähigkeit, sich zu regulieren. Das kann unter anderem zu Konzentrationsproblemen oder einer überschießenden Affektregulation führen. Die Kinder nehmen sich selbst nicht situationsgerecht wahr und spüren ihren Körper nicht ausreichend im gegenwärtigen Moment.

Der Gleichgewichtssinn – Polyvagal-Theorie – das Streben nach Sicherheit

Mit dem Ansatz der sensorischen Integration nach Dr. Jean Ayres wird die sensorische und physiologische Grundlage für das Empfinden von Sicherheit für den Menschen gelegt. Ohne die sichere Verbindung zur Schwerkraft und deren sensorische Verarbeitung kann dem Menschen kein Gefühl der Sicherheit vermittelt und etabliert werden. Meine Erfahrung als Ergotherapeutin mit Kindern, deren Nervensystem entweder zu hoch oder zu niedrig durch vorgeburtliche oder auch nachgeburtliche Traumata eingestellt ist, ist, dass an der Einstellung eines mittleren Arousal (Erregungslevel des Gehirns) gearbeitet werden muss.

Hier kommt die Polyvagal-Theorie ins Spiel mit ihrem Ansatz der Co-Regulierung. Das autonome Nervensystem ist bei diesen Kindern nicht ausreichend regulierungsfähig infolge fehlender co-regulierender Bindungserfahrung, die das Nervensystem des Kindes ausreifen lässt. Ein mittlerer Erregungslevel, der die Integration von sensorischen Reizen optimal zulässt, wird sowohl mittels der sensorischen Integrationstherapie als auch durch das gut regulierte Nervensystem der Therapeutin und der Bezugspersonen nach und nach aufgebaut. Dem autonomen Nervensystem des Kindes wird am Modell des ausgereiften Nervensystems der Therapeutin oder auch der Bezugsperson die Chance gegeben, selbst Stabilität und Spannkraft zu entwickeln.

Mit diesem Prozess wird ein Toleranzfenster aufgebaut, das sowohl eine regelrechte Verarbeitung von sensorischen Reizen als auch den Umgang mit starken Emotionen und widrigen Umständen zulässt. Mit einem regulierten autonomen Nervensystem wird auch die Basis für die Ich- und Kontaktentwicklung sowie Bindungsfähigkeit gelegt. Nach der Polyvagal-Theorie muss ein spezieller Teil des Nervus Vagus (der ventrale Teil) entwickelt sein, um ein sozial engagierter Mensch zu werden. Befindet sich der Mensch in einem Entwicklungstrauma, reift dieser Teil des Nervus Vagus oft nicht aus. 

Genaue Informationen über die Polyvagal-Theorie erhalten Sie auf polyvagal-akademie.com und polyvagalinstitute.org.

Mit der Integration des vestibulären (Gleichgewichts-)Sinnes, eines co-regulierenden Nervensystems und eines traumatherapeutischen Ansatzes können sowohl Kinder wie auch Erwachsene ein Gefühl von Sicherheit entwickeln und etablieren. Dies ist die Grundlage, um Selbstwirksamkeit im Leben und in der Welt zu erfahren.

Im folgenden Buch erfahren Sie mehr über sensorische Integration und Trauma:

Ruth A. Lanius & Sherain Harricharan: Sensory Pathways to Healing from Trauma – Harnessing the Brain’s Capacity for Change.

Neurozeption

Mir hat die Polyvagal-Theorie nicht nur in Hinblick auf das Verständnis von Trauma sehr geholfen. Sie hat mir auch die Abhängigkeit unseres Sicherheitsgefühls von der regulierenden Unterstützung eines Mitmenschen (Co-Regulierung) verdeutlicht. Das Sicherheitsgefühl von Kindern und von Menschen, die von Trauma betroffen sind, ist davon abhängig, ob sich ihr Körper geborgen und sicher in seiner sozialen Umwelt fühlt. Die Hinweise, ob der Körper in eine Verteidigungshaltung gehen muss, hängen von der physiologischen Wahrnehmung unseres autonomen Nervensystems ab. Dr. Stephen Porges nennt das Neurozeption. Werden die richtigen sicherheitsgebenden Impulse von der Umwelt ausgesendet und von der Neurezeption so auch interpretiert, kann ein zwischenmenschlicher Austausch stattfinden, der auch höhere kognitive Funktionen mit einschließt und von emotionaler Wechselseitigkeit, Respekt und Wertschätzung geprägt ist.

Daher einen großen Dank an Dr. Stephen Porges und sein Team für die Entwicklung der Polyvagal-Theorie.

Eingeschränkte Kontakt- und Bindungsfähigkeit

Bei der Beschäftigung mit dem Thema Entwicklungstrauma wurde mir klar, wie traumatische Ereignisse in früher Kindheit und in der Jugend ein ganzes Leben überschatten können. Das traumatische Erlebnis beeinflusst sowohl die Körperwahrnehmung wie die physiologische Befindlichkeit des Menschen. Infolgedessen werden die Kontaktfähigkeit und die Bindungsfähigkeit des betroffenen Menschen sehr eingeschränkt. Um an der physiologischen Dysregulierung traumatherapeutisch anzusetzen, hat Dr. Peter Levine die körperbezogene Therapieform Somatic Experiencing entwickelt. Er ist mit Dr. Stephen Porges befreundet. Die Entwicklung von Somatic Experiencing und der Polyvagaltheorie haben sich gegenseitig beeinflusst.

Warum eine Stiftung für Traumatherapie mit Schwerpunkt Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene:

Mir hat es immer sehr am Herzen gelegen, Menschen sowohl einen Ort, hier meine Praxis, als auch eine therapeutische Begegnung anzubieten. Sie sollen einen Raum für sich bekommen, um sich wahrzunehmen, eigene Impulse zu spüren und in den Raum zu stellen, die ich dann aufgreife und therapeutisch integriere. Mein Fokus in der Ergotherapie waren immer Kinder und Jugendliche, zum Teil auch Säuglinge. Hier liegt mir besonders die vorurteils- und bewertungsfreie Sicht der Kinder am Herzen, die mich jedes Mal sehr berührt. Sie sehen noch unseren wahren Kern, unser Sein, unsere Authentizität, jenseits der Konditionierung, die uns als Erwachsene oft begleitet.

Kinder haben mich in ihrer Ehrlichkeit und Offenheit immer wahrhaftig und direkt gespiegelt. Diese ungefilterte Authentizität und Reinheit haben mich sehr berührt und geprägt. Sie haben eine signifikante Bewunderung für diesen psychischen Zustand der Kinder hervorgerufen und mich gleichzeitig mit Dankbarkeit mit ihnen und ihnen gegenüber verbunden.

Kinder haben viel dazu beigetragen, dass ich gereift bin und meine eigene Sinnhaftigkeit erlebte und mich selbst näher und tiefer erkannte und wahrnahm. Wir alle brauchen einen authentischen Spiegel, um uns selbst zu erkennen. Im Du erkennen wir uns. Daher liegt mir auch die Förderung von Somatic Experiencing so am Herzen, weil ein dysreguliertes autonomes Nervensystem von der Gegenwart eines Menschen mit einem regulierten autonomen Nervensystem abhängig ist, um Heilung zu erfahren.

Bietet ein anderer Mensch einen Teil seiner Ganzheit im Kontakt an, ist Heilung möglich.

Daher liegt es mir sehr am Herzen, weiter für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene helfend, fördernd und unterstützend tätig zu sein. Damit diese wunderbaren Eigenschaften der Kinder unsere Welt mehr mit Licht und Liebe überstrahlen und nicht durch Entwicklungs- oder Schocktrauma überschatten.

Die Kinder erhalten die Chance, ihr Licht und Strahlen in ihr eigenes erwachsenes Leben hineinzutragen und zu leben.